Stahlharte Fäuste und ein Herz aus Gold
Golagha Haddi (rechts) trainiert mit Detlef Krause für seinen ersten Profikampf.
In die Jahre gekommene Plattenbauten, dazwischen schlammige Brachflächen - der Schweriner Stadtteil Krebsförden wirkt wenig anheimelnd. Die Bewohnerschaft ist multikulturell und hat mit vielfältigen Problemen zu kämpfen. Umso wichtiger ist es, dass die Caritas mitten im Quartier einen Stadtteiltreff betreibt - mit vielseitigen Angeboten für Menschen jeden Alters. Kinder treffen auf Senior_innen, es wird gekocht, gespielt und genäht. Ein überraschendes Freizeitangebot verbirgt sich im Keller: Hier steigen Kinder und Jugendliche mit dem früheren DDR-Meister Detlef Krause in den Boxring.
Der 59-jährige Champion gehört seit vier Jahren zum Team des Stadtteiltreffs. Zuvor hatte er für seinen alten Boxclub "Traktor Schwerin" als Trainer gearbeitet. Durch eine Boxvorführung im Caritas Jugendhaus Lankow entstand die Idee, in Krebsförden ein Projekt für Kinder und Jugendliche aufzuziehen. Für Krause, der schon mit neun Jahren das erste Mal in den Ring stieg, wurde ein Lebenstraum wahr: "Ich liebe das alles! Ich bin hier glücklicher als je zuvor."
Rund 15 Kinder und Jugendliche kommen regelmäßig zum Boxtraining. Die Jüngste - "ein Riesentalent mit großer Klappe" ist neun, der Älteste 26. Auch wenn der Sport im Zentrum steht, geht es nicht in erster Linie darum, Profiboxer heranzuziehen. "Die wenigsten werden Leistungssportler", sagt Detlef Krause. Boxen sei vor allem das Mittel, um mit den Kids in Kontakt zu kommen. Die Trainingszeiten passt er an die Lebenssituation der Jugendlichen an. Die Älteren haben Schichtdienst und trainieren auch mal früh morgens, die Schüler kommen nachmittags. Zwischen den Terminen der Stamm-Crew schiebt er andere Trainierende ein, aber: "Ich kann nicht sofort loslegen, wenn die Jungs meinen, jetzt habe ich gerade Lust."
An die Regeln halten
Detlef Krause glaubt, dass Gott in seinem Leben auf ihn „aufgepasst“ hat.
Im Boxkeller hängt ein Kruzifix, der neue Boxring wurde von Weihbischof Horst Eberlein eingeweiht. Unter denen, die hier trainieren, sind aber mehr Muslime als Christen. Dass die jungen Kämpfer aus verschiedenen Kulturen stammen und unterschiedlichen Religionen angehören, führt hier aber nicht zu Problemen: "Das funktioniert, wenn sich alle an die Regeln halten", erklärt Detlef Krause. Wie sehen diese Regeln aus? Ganz wichtig ist gegenseitiger Respekt: "Jeder begrüßt jeden, man schaut dem anderen in die Augen. Dass ein Junge sich weigert, einem Mädchen die Hand zu geben, das geht nicht. Und der Trainer wird gesiezt." Ganz wichtig ist auch, dass alle mit anpacken: "Wenn einer sich weigert zu kehren, weil das zuhause seine Mama macht, dann sage ich: deine Mama ist nicht hier."
Über den Sport hinaus finden die Kids bei der Caritas Ansprechpartner_innen, denen sie ihre Sorgen anvertrauen und die ihnen helfen, wenn es im Leben schwierig wird. "Boxen geht nur, wenn das Umfeld stimmt. Manche kommen mit einer Vorladung der Polizei zu uns, oft wegen Betäubungsmitteln. Unser Team kümmert sich darum", sagt Detlef Krause. Die Situation in den Familien sei vielfach schwierig: "Manche Eltern interessiert es gar nicht, was ihre Kinder hier machen, oder sie haben keine Zeit und sind einfach froh, dass die Kinder gut unterkommen." Das Haus der Caritas ist deswegen für viele auch ein Treffpunkt vor und nach dem Training. Es gibt etwas Gesundes zu essen, die Jugendlichen treffen Freunde, spielen mit den jüngeren Kindern und bleiben oft hier, bis der Treff schließt.
Lieber weggehen als zuschlagen
Die Jungs und Mädchen erfahren hier auch, wie sie mit dem Thema Gewalt sinnvoll umgehen können. Manche nutzen die Sandsäcke zum Aggressionsabbau: "Ein Mädchen kam neulich rein, wollte nicht reden, nur gleich die Handschuhe anziehen und Dampf ablassen. Danach ging es ihr besser." Im Ring hat blinde Wut aber keinen Platz, hier gelten klare Regeln: "Keine Tiefschläge, keine Fußtritte." Und für den Alltag gibt Krause seinen Schützlingen mit: "Lasst euch lieber nicht provozieren. Es kann besser sein wegzulaufen, als sich zu schlagen. Lieber lässt du dich mal Feigling nennen, kannst aber weiterhin Sport machen." Trotzdem muss Detlef Krause immer damit rechnen, dass einer seiner Jungs die Regeln nicht einhält. "Einer sitzt gerade eine Jugendstrafe ab und hat schon gesagt, dass er nach seiner Entlassung wieder hierherkommen will. Eine zweite Chance kriegt jeder. Passiert dann wieder was, ist er aber raus", so Krause. Lernen, dass nicht jeder Kampf zu gewinnen ist - auch das steht auf dem Trainingsplan. "Man muss mit Niederlagen ebenso umgehen können wie mit einem grandiosen Sieg."
Eine Erfolgsgeschichte schreibt Krause mit dem 20-jährigen Golagha Haddi. Für ihn ist sein Trainer nicht nur ein sportliches Vorbild: "Er ist wie ein Vater für mich. Er hat ein Herz aus Gold, solche Leute gibt es wenige." Haddi hatte neun Jahre lang bei Traktor Schwerin trainiert, an der Meisterschaft teilgenommen und 80 Wettkämpfe mitgemacht. Dann bremsten ihn persönliche Probleme aus, er hatte die Hoffnung aufs Boxen aufgegeben. "Krause hat sich dann bei mir gemeldet und mir angeboten, hier zu trainieren." Heute steht der junge Sportler am Beginn einer Profi-Karriere.
Ein Vorbild für die Kumpels
Haddi stammt aus Afghanistan. Als Kind kam er nach Deutschland und lebte dann mit seiner Familie drei Jahre in einem Heim, bis sie wussten, dass sie bleiben dürfen. Den Stadtteiltreff empfindet der angehende Profiboxer als seine zweite Familie: "Wenn man Hilfe braucht, ist jemand da. Wenn ich Probleme habe, kann ich darüber sprechen. Wir vertrauen einander." Das Team der Caritas hat ihm auch geholfen, als er nach seinem Hauptschulabschluss eine Stelle suchte und sich bewerben musste. Heute ist sein Leben sehr stabil: Er geht arbeiten, in seiner Freizeit trainiert er und spielt mit den Kindern im Treff. Für seine Kumpels ist er mittlerweile ein Vorbild geworden. "Die sehen: ich trainiere hart und habe Ziele. Ich will der Welt beweisen, dass man auch sportlich was erreichen kann, nicht mit Gewalt und nicht mit Drogen." Bei seinem ersten, siegreichen Profikampf am 2. Dezember waren seine Freunde mit dabei. "Die haben sogar T-Shirts dafür gedruckt." Unterstützung gibt ihm auch sein Glaube: "Ich bete vor dem Kampf und danke danach, ich danke auch für meine Fans und Freunde."
Religion und Sport gehören für viele Boxer zusammen, weiß Detlef Krause: "Viele bekreuzigen sich, wenn sie aus ihrer Ecke kommen." In seinem eigenen Leben spielt der Glaube eine wichtige Rolle: "Das kam, weil ich so viel Glück gehabt habe. Da hat immer einer auf mich aufgepasst." Ganz wichtig ist ihm die gelebte Nächstenliebe. Der Trainer ist überzeugt: "Wenn wir etwas Gutes tun, kommt es irgendwann zurück."