Was ist mir an Ostern wichtig?
Was ist mir an Ostern wichtig ist?
Auferstehung in Pandemiezeiten?
Vor über einem Jahr schrieb ich eine Ostermeditation unter der Überschrift "Was mir an Ostern wichtig ist". Ich habe darin versucht, den Glauben der Christen an die Auferstehung so ‚durchzubuchstabieren‘, dass die Aussagen des Glaubens sich auch für den Nachbarn, Freund, Bekannten und Kollegen, der nicht (mehr) in der Kirche ist, sich nicht anhören und anfühlen wie eine Fremdsprache oder ein "Märchen aus 1000 und 1 Nacht". Das war vor der Corona-Pandemie, die heute weltweit alle Lebensbereiche in Mitleidenschaft gezogen hat. Das Ausmaß war weder absehbar, noch waren die Auswirkungen auf sämtliche Lebensvollzüge, einschließlich der kirchlichen, auch nur annähernd zu erahnen. Keine Gottesdienste in gewohnter Weise, kein Kirchengesang, keine Gemeinschaft an Sonn - und Feiertagen. Stattdessen die Aussage, dass kein Kontakt ein guter Kontakt ist, damit der Corona-Virus sich nicht weiter ungehemmt ausbreiten kann. Alle Hoffnungen richten sich auf den Impfstoff. Und sofort entsteht eine Ungleichheit und Ungleichzeitigkeit: Wer wird geimpft? Wer kann sich die Impfung leisten? Bleiben die Armen, auch die armen Länder, entgegen allen Ankündigungen und Beteuerungen, verstärkt ‚außen vor‘? Sind Worte wie Teilhabe und Chancengleichheit - auch und gerade in Fragen der Gesundheit - wirklich ernst gemeint oder nur leere Worthülsen und Parolen, denen man nicht (mehr) glauben kann?
Fragen über Fragen. Passt dies zu Ostern? Andersherum gefragt: Passt Ostern, die Botschaft der Hoffnung und des Lebens, in diese Zeit der Einschränkungen und Beschränkungen, in die Zeit der Unsicherheiten und vagen Hoffnungen?
Ich hatte mir vor Ausbruch der Corona-Pandemie Fragen gestellt wie:
- Was ist mir an Ostern wichtig?
- Welche Bedeutung hat ‚Auferstehung‘?
- Was macht Ostern mit mir persönlich, hat es Auswirkungen auf mein Leben?
Heute, in Zeiten, in denen wir mit den Auswirkungen der Pandemie leben müssen, erscheinen mir diese Fragen merkwürdig fremd, irgendwie fern, gleichsam ‚aus der Zeit gefallen‘, ja unwirklich. Religion, Kirchen, so heißt es mitunter, sind nicht ‚systemrelevant‘. "Etwas Anderes liegt ‚oben auf‘", etwas, was mehr mit dem praktischen Leben zu tun hat, was nützlich ist und hilfreich in der Alltagsbewältigung. Gemeint sind damit Regeln und Verordnungen, Schutzmaßnahmen, wie Abstand halten, Hygienekonzept und Mund - Nasenbedeckung. Alles, was Freude, Spaß und Vergnügungen zu betäuben scheint. In diese Zeit hinein etwas zu Ostern zu sagen, zum höchsten Fest der Christenheit, zum ‚Sieg über den Tod‘, das scheint mehr als ein gewagtes Unternehmen zu sein.
Ein Licht der Hoffnung entzünden
Zunächst wird man daran erinnern dürfen, dass zu den kirchlichen Grundvollzügen ja nicht nur die Verkündigung des Gotteswortes und die Feier der Liturgie gehören, sondern auch der geschwisterliche Dienst am ‚Nächsten‘, besonders dort, wo sie oder er in Not geraten sind. Das sollte man zumindest mitbedenken, wenn man leichtfertig der Kirche Irrelevanz meint ‚bescheinigen‘ zu müssen bzw. zu sollen. Nöte gibt es heute viele verschiedene. Nöte, die man sieht und gegen die man mit materiellen Möglichkeiten vorgehen kann. Deren Erfolgsaussichten man kalkulieren, deren Erfolge man sehen und messen kann. Und es gibt Nöte, die man weder sieht noch hört, die man nur bei großer Aufmerksamkeit wahrnimmt und gegen die es weder auf Anhieb ‚Soforthilfe‘ noch eine wirksame Medizin gibt. Nöte, die oft schleichend daherkommen, oft um länger oder gar dauerhaft zu bleiben, Nöte, die (zu) wenig wahrgenommen werden, weil sie sich nur leise und langsam ankündigen. Es sind oft Nöte, die man sich erst dann eingesteht, wenn die Krise akut ist. Ich spreche von sozialen und menschlichen Tragödien in Familien, in der Erziehung der Kinder, im Umgang mit sich selbst, wenn die Annahme der eigenen Begrenzungen nur sehr unzureichend gelingt.
Diese Nöte sind nicht von der Covid 19 - Pandemie verursacht. Diese ‚versteckten‘ Nöte gab es schon immer, sie wird es vermutlich auch immer geben. Doch sie treten verstärkt heute hervor, oft parallel mit dem Erstarken materieller, finanzieller und sozialer Engpässe. Dazu gehören neben Einsamkeit, Trauer und Zukunftsängsten, Orientierungslosigkeit und fehlendes Selbstwertgefühl. Eigentlich alles Fragen existentieller Natur, auf die die Kirchen Antworten zu geben versuchen. Von daher ist die Rede, dass Kirchen nicht systemrelevant sind, eigentlich als grob fahrlässig zu bezeichnen. Denn unsere Zeit ist ja durch eine ungeheure Spannung gekennzeichnet: Grenzenlosen Machtgefühlen stehen abgrundtiefe Ängste und Ohnmacht gegenüber. Die kirchliche Caritas erlebt - je mehr sie sich auf die Menschen einlässt umso stärker - oft Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Ratlosigkeit. Dabei vermittelt die Kirche eine - auch in psychologischer Hinsicht - sehr relevante, ja unentbehrliche Einsicht und Erfahrung: Es ist die Annahme durch eine bedingungslose Liebe, die die eigene Annahme und die der anderen erst ermöglicht.
Und wenn wir sagen, dass es Christen - gerade heute verstärkt - aufgetragen ist, zu helfen, tatkräftig die Not zu lindern, dann ist es vielleicht doch nicht so schwer, zu Ostern eine Verbindung herzustellen. Denn Ostern ist das Fest der Hoffnung. Und vielleicht mehr als zu anderen Zeiten ist uns heute aufgetragen, ein Licht der Hoffnung zu entzünden - wenn vielleicht auch weniger heute durch Worte als durch Gesten und Taten professioneller Hilfe und selbstloser Liebe. Durch dieses Tun geben wir unserer Hoffnung Ausdruck, dass die österliche Freude wirklich die Kraft hat, "die Nacht hell zu machen".
Kirche als "Feldlazarett"? (Papst Franziskus)
Kirche wird heute nicht mehr so sehr als Schutzraum, sondern vielmehr als "Feldlazarett", wie es Papst Franziskus formuliert, erlebt. Das ähnelt der Analyse Hans Urs von Balthasars, der bereits im Jahr 1952 (!), im Zusammenhang des Welt-Kirche-Verhältnisses, treffsicher von der "Schleifung der Bastionen" sprach. Sein gleichnamiges Büchlein hat auch nach fast 70 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt. In ihm sind Aussagen zu finden, die der Kirche, besonders auch ihrer Caritas, Richtung und Ziel geben. Ein Ziel, das ein weiterer Buchtitel Balthasars mit dem Wort "Glaubhaft ist nur Liebe" exakt beschreibt. Denn:
"Die Veräußerlichung des Kirchenverhältnisses für eine überwiegende Zahl von Kirchenmitgliedern, wie es für lange Jahrhunderte feststellbar ist, kann …nur als eine Verdunkelung des Eigentlichen und Ursprünglichen angesehen werden, ihre Überwindung als das Hinausschaffen eines Fremdkörpers."[1]
Balthasar war weit davon entfernt, zu resignieren. Ganz im Gegenteil, seine "Schleifung der Bastionen" hat er nie zurückgenommen, sondern immer wieder auf sie hingewiesen. Auch um Missverständnissen zu wehren entzündete sich sein Optimismus an den Möglichkeiten für die "christlichen Gemeinden". Ihnen prophezeit er "neue Kraft", die in die Welt auszustrahlen vermag. Wenn nur eine "Theologie" vertreten und vor allem vermittelt wird "unter dem Gesichtspunkt des Dienstes".
Hier wird auch der "Zusammenhang seiner Geschöpfe" ausdrücklich betont, in dem die Caritas ihren vornehmsten Ort hat.[2] "Bis in die formalsten Seinsgesetze hinein leuchtet dem Wissenden, der das Seiende gegen das Licht zu halten versteht, das Wasserzeichen Christi entgegen...so will uns Gott doch nicht anders sichtbar werden als im Zusammenhang seiner Geschöpfe…" [3]
"Gott will uns nicht anders sichtbar werden als im Zusammenhang seiner Geschöpfe" - darum feiern wir Ostern. Denn Ostern ist - anders als Weihnachten - zunächst nicht so sehr das Fest der Familie als vielmehr das Fest des Lebens. In der Natur blüht alles auf, frisches Grün, das Vogelgezwitscher und das Lachen vieler fröhlicher Menschen zeigen etwas von dem, was Leben ausmacht: Leben ist Frohsinn, Freude, Gemeinschaft. Leben ist Lust, Kraft, Ekstase. Mit all dem hat das Fest Ostern zu tun. Warum? Weil "Gott …uns nicht anders sichtbar werden (will)als im Zusammenhang seiner Geschöpfe". Darum feiern wir das Neue, den Aufbruch aus Zwängen, Einengungen, Dunkelheit. Darum sehnen sich die Menschen nach dem Licht.
Und damit bin ich schon bei der christlichen Bedeutung von Ostern. Früher hat man schnell gesagt: "Jesus starb am Karfreitag für unsere Sünden und ist Ostern vom Tode erstanden." Heute sind diese Aussagen nicht unwahr, aber vielfach unverständlich. Wir müssen heute anders davon reden, auch in unseren Kirchen. Wir sollten davon reden, dass Menschen so ‚gebaut‘ sind, dass sie ohne Hoffnung nicht leben können: Hoffnung auf Gesundheit, einen guten Beruf, eine gute Familie - ja und auch Hoffnung auf ein gutes Sterben. Und wir erleben vielfach, dass "nicht alle Blütenträume reifen", dass viele Dinge im Leben "aus den Fugen geraten". Unsere Hoffnung wird vielleicht auch vielfach enttäuscht.
Und dennoch: Wir fragen und hoffen weiter, dass nicht nur Einzelnes gelingt. Wir hoffen darauf, dass das Ganze, unser ganzes Leben, ja das Leben aller Menschen irgendwie ‚heil‘ wird.
Und es geht noch weiter, wenn wir an die Umweltkrisen, an die Auswirkungen der Pandemie denken: Wir hoffen darauf, dass eigentlich die ganze Schöpfung irgendwie besser wird, ‚heil‘ wird. Und viele Menschen engagieren sich und zeigen i m Engagement ihre Hoffnung, ohne dass mitunter viele Worte gemacht werden. Letzten Endes aber wissen wir: Unsere Kraft reicht für sehr viel. Aber sie reicht nicht, wirklich alles ‚heil‘ zu machen. Wir fragen darum nach dem Grund unserer unbedingten Hoffnung und ahnen mehr als wir wissen, dass das Leben nicht nur Geschenk, sondern auch Verheißung ist. Verheißung - um es in religiöser Sprache zu formulieren - auf ein ‚Mehr‘, auf ein ‚Leben in Fülle.‘
Ostern feiern Christen, dass in der ‚Auferstehung Jesu sowohl Zeichen und Wirklichkeit von etwas gegeben sind, das uns "unbedingt angeht" (Tillich), dass uns etwas gezeigt und gleichzeitig vermittelt wird - und zwar glaubhaft: Unsere unbedingte Hoffnung ist nicht ‚Trug und Schein‘, sie ist keine Illusion. Sie ist Wirklichkeit. Sie ist schon da, eingebrochen in unser Leben. Sie betrifft uns im Hier und Heute, sie betrifft alle Menschen, alle Generationen auf allen Kontinenten, sie betrifft die gesamte Schöpfung. Das Leben siegt über alle Unwägbarkeiten, weil ‚die alles bestimmende Wirklichkeit‘ sich uns zugewendet hat und uns zugewendet bleibt. Ja, sie bleibt selbst im Tode siegreich.
"In Gottes Einsatz leben" (Hans Urs von Balthasar)
Aber ist das alles nicht viel zu schön, um wahr zu sein?" Es gibt dieses alles zersetzende und alles zerstörende Grundmisstrauen. "Es kann doch nicht wahr sein" oder "Es kann nicht sein, was nicht sein darf." Gerade in den Zeiten der Pandemie haben auch Verschwörungsmythen ‚Hochkonjunktur‘. Wie kann man mit diesen (An)fragen umgehen, wie mit jenen Menschen einen Dialog gestalten, für die die Gläubigen einer großen Illusion hinter herlaufen und der Mann aus Nazareth ein großer Phantast war, dessen Niederlage sich einzugestehen seine Anhänger sich nicht getrauten und auch heute noch nicht zugeben? Der Glaube kann und darf dieser grundsätzlichen Infragestellung - auch und gerade nicht an Ostern, wo Christen feiern, dass sie "im Einsatz Gottes leben"
[4]- ausweichen. Hier wird mir das Glaubenszeugnis Karl Rahners zur Lebenshilfe, weil es mir zu einer ungetrübten Osterfreude verhilft. Rahner fragt nämlich dort weiter, wo viele andere aufhören:
"Kann es die skeptische Abstinenz einer Entscheidung zwischen Theismus und Atheismus auf die Dauer weiterbringen als zu einem Leben von Banalität, das ängstlich den großen Fragen des Daseins als einem und ganzem ausweicht?" [5]
Man kann den eigentlichen, den großen Fragen nicht ausweichen, weil auch dieses Ausweichen eine Entscheidung ist! In Bezug auf die Gottesfrage bringt Karl Rahner noch einen weiteren Aspekt in‘ s Gespräch ein:
"Das Wunder des Daseins besteht nun aber nicht so sehr darin, dass es dieses Geheimnis gibt (wer kann dies eigentlich anders leugnen als dadurch, dass er sich hartnäckig weigert, sich damit zu beschäftigen?), sondern darin, dass man sich mit ihm einlassen kann und darf, ohne im selben Augenblick in die eigene Nichtigkeit zurückgeschleudert zu werden…" [6]
Gerade weil die Botschaft des Glaubens, der Religionen, heute, wie zu allen Zeiten, in Frage steht, sollten wir Glaubenszeugen Gehör schenken, die die letzten Alternativen in "intellektueller Redlichkeit" durchdacht und durchmeditiert haben. Die das Leben, ihr Leben, als Dienst, als "kirchliche Existenz" verstehen, als Auftrag, eine alles umfassende Hoffnung zu bezeugen - durch die helfende Tat und durch das Wort der Zusage, der Vergebung und der Liebe. Wir sollten jenen Menschen trauen, deren Osterfreude sich darin zeigt, dass all ihr Reden und Tun sich ‚aufhebt‘ in die vertrauensvolle Anrede Gottes. Wo Denken und Reden sich aufhebt in‘ s Gebet, da sollten wir aufhorchen. Denn:
"Was sollte denn den Glauben an Gott erschüttern? Das Hohe und Selige des Lebens kündet von ihm. Die schrecklichen Abgründe schreien genauso nach ihm, die Banalität des Alltags wird doch nur erträglich in der Hoffnung, dass das Leben des Geistes, der Freiheit und der Liebe nicht in dieser Banalität grausam und endgültig versandet. Die absolute Würde der Liebe und Treue ist inwendig erfüllt und getragen von dem, was wir Gott nennen. Alle Straßen der Zukunft führen zu Gott, wenn sie sich nicht im Nichts verlaufen sollen und so auch die kleinen Wegstücke, die wir darauf abschreiten, sinnlos machen sollen. Mir scheint, in allem blickt Gott mich an und lässt sich begegnen." [7]
Rudolf Hubert
Schwerin, den 07.12.2020
[1] Hans Urs von Balthasar "Schleifung der Bastionen", Einsiedeln, 1952, S.79
[2] Heute reden wir von Gemeinwesenbezügen, vom kirchlichen Engagement in Sozialräumen. All dies ist beileibe nicht neu! Doch hat man je auf die Propheten gehört?
[3] Hans Urs von Balthasar "Schleifung der Bastionen", Einsiedeln, 1952, S.82
[4] Buchtitel von Hans Urs von Balthasar
[5] Karl Rahner/Karl-Heinz Weger "Was sollen wir noch glauben?", Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 62
[6] Karl Rahner/ Karl Heinz-Weger "Was sollen wir noch glauben?", Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 193
[7] Karl Rahner/ Karl Heinz Weger "Was sollen wir noch glauben?", Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1979, S. 66 f