Sei gut, Mensch! - zum Caritassonntag 2020
Denn was kommt dabei heraus? Und was ist schon alles dabei herausgekommen?"
Deutscher Caritasverband e. V. / Sebastian Pfütze
So oder ähnlich lauten weitverbreitete Vorurteile, die die so genannte Mitte der Gesellschaft längst erreicht haben und damit auch unsere Kerngemeinden. Umso wichtiger ist die Tatsache, dass sich die Caritas als Verband und als Teil von Kirche gesellschaftlich vernehmlich zu Wort meldet und sich einmischt. Es wäre mehr als fatal, wenn man tatsächliche Probleme kleinredet oder verdrängt oder sie Parteien und Gruppierungen überlässt, die auf dieser ‚Flamme‘ dann ihre ganz eigene ‚Suppe kochen‘. Wer von Problemen redet, darf die Chancen nicht verschweigen. Und wer die Chancen sieht, darf die sich ergebenden Aufgaben nicht hintenanstellen. Hier braucht es eine Ausgewogenheit, Ehrlichkeit, Fairness und auch den sogenannten ‚langen Atem‘.
Deutscher Caritasverband e. V. / Sebastian Pfütze
Es ist fast zu banal, um es in Erinnerung zu rufen: Fragen der Migration lassen sich lösen - nur nicht vom bequemen Sofa aus! Und Fragen der Migration sind vielfältig und haben ganz wesentlich mit unserer Lebenseinstellung, mit unserer Art zu wirtschaften und mit unserem Welt - und Menschenbild zu tun. Wer nicht ernst damit macht, dass Menschenwürde und Menschenrechte unteilbar und unantastbar sind, wird schnell falschen Parolen erliegen. Und wer für Menschenrechte und Menschenwürde kein Fundament anzugeben vermag, das tatsächlich bedingungslos ist, auch der wird rasch in Rechtfertigungsdruck und Argumentationsschwierigkeiten kommen. Für Christen ist der Mensch weder zuerst und zuletzt ein Verbraucher, Konsument oder ein Kostenfaktor. Er ist auch kein Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse oder das ‚Vehikel seiner Gene‘. Für den Glauben sind Menschenrechte und Menschenwürde deshalb unantastbar, weil ein liebendes Gegenüber jeden von uns meint und anspricht. Jeden, egal, wo er wohnt, wie er heißt, wie alt er ist oder welche Begabungen oder Grenzen er hat. Die Liebe Gottes ist so umfassend, dass sie der gesamten Schöpfung gilt.
Eugen Drewermann sagt unmissverständlich, dass nur die Religion dem Menschen sagen kann, dass er mehr ist als ein Stoffwechsel - und Energieaustauschaggregat. Erst wenn ein absolutes Fundament für Menschenrechte und Menschenwürde gilt, können Schwierigkeiten, Fragen, Sorgen und Ängste in jene Perspektive einrücken, in der tatsächliche Lösungsansätze zu finden sind. Vorurteile, Verdrängung, Abschiebung und Hass sind keine Lösungen, weil sie den Menschen als Menschen nicht ernst nehmen, ihn als solchen nicht gelten lassen!
Für Christen findet dies alles seine Verifikation im Mann aus Nazareth. An Jesus von Nazareth wird deutlich, wie Gott sich den Menschen, wie er sich Menschsein gedacht hat.
Aus all diesen Überlegungen heraus sollten wir am heutigen Caritas-Sonntag uns darum näher damit beschäftigen, was und vor allem wie und warum
- Kirche und Welt
- Liebe und Glaube
- Leib und Seele untrennbar zusammengehören.
Um sich einer Antwort zu nähern sollten wir die Frage näher bedenken:
Was macht den Glauben wesentlich?
In seinem jüngst erschienenen Buch "Die Stunde des Jeremia" versucht Eugen Drewermann eine Zeitanalyse, die m. E. nach sehr viel für sich hat. Er sagt dort, dass es mitunter den Anschein hat, dass der Mensch
"den Sinn der Existenz an Erfolgsstrategien festmacht, die bis zum Phantastischen gehen können: Bin ich als Sechzehnjährige schön genug? Habe ich genügend Freunde bei Facebook? Mit welcher App finde ich hundertachtzig Freunde, die ich zum Geburtstag einladen kann? Da muss man mithalten in dieser Wahnwelt eines Daseins, das nur noch Design ist. Man wird als Konsumentin und Konsument eingeschliffen und macht das begeistert mit." [1]
Dieser - auf den ersten Blick recht pessimistischen - Sicht auf Welt und Mensch, stellt er an anderer Stelle eine Glaubensbotschaft an die Seite, die ich nicht nur als eine "Öffnung des Herzens" bezeichnen würde. Sie deutet eigentlich an, warum es keine Kirche ohne Caritas geben kann, warum Liebe und Glaube ebenso zusammengehören wie Kirche und Welt und Leib und Seele. Drewermann erzählt die Geschichte einer Frau, die darüber klagt, dass sie eigentlich nicht (mehr) glauben kann. Und dann erzählt sie von sich, von ihrer Arbeit, von ihrer Beziehung zu ihrem Mann, zu ihren Kindern. Und sie spricht in bewegenden Worten, dass ihr jüngstes Kind oft am Abend Mühe hat, einzuschlafen. "Und was machen sie dann?", wird sie gefragt. "Ich setze mich an das Bett meines Kindes, singe ihm ein Lied vor oder zwei. Ich streichle ihm über den Kopf und sage: "Schlaf ruhig ein, denn alles ist gut. Und wenn du morgen früh aufwachst, sind Mutti und Vati und die Geschwister wieder da, wir sitzen am Essentisch und ein neuer Tag beginnt für uns und mit uns."
Hier ereignet sich in Wirklichkeit Glaube in elementarer Form: Nicht nur, dass das Streicheln über den Kopf einer Segenshandlung gleichkommt und die Aussage: "Alles ist gut" wie das Amen eines Gebetes klingt. Viel wichtiger ist, darauf zu achten, dass dieses Kind diese Zusage: "Alles ist gut" unbedingt braucht. Nur, wenn alles gut ist, kann es in Ruhe schlafen, sich dem Unbewussten arglos anvertrauen.
Die Mutter oder der Vater, die diese Aussage machen: "Alles ist gut", wissen, dass das Kind diese Aussage und Zusage unbedingt benötigt. Sie lügen nicht und sind auch nicht zynisch. In ihrer Liebe sagen sie etwas, aus dem sie selber leben. Und doch: Sie selber können überhaupt nicht einstehen für das, was sie zusagen. Denn schon der nächste Atemzug muss ihnen geschenkt sein.
Hier meldet sich eine Wirklichkeit zu Wort, die viel tiefer reicht, als alles, was man kaufen oder machen kann. Hier stellt sich etwas Unverfügbares im Leben ein, dass unbedingt notwendig ist im wahrsten Sinn des Wortes: Menschen brauchen - in Wort und Tat - die Unbedingtheit der Aussage und Zusage, dass alles gut ist bzw. wird. Sonst könnten wir als Menschen gar nicht leben. Nur so kann unsere existentielle Not gewendet werden!
"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein."
Die Unbedingtheit der Liebe ist die Botschaft des Glaubens. Als Christen glauben wir, dass diese allumfassende Zusage uns in besonderer Weise im Mann aus Nazareth vermittelt und verbürgt ist, der uns einlädt, durch unser Leben diese Botschaft ebenfalls weiter zu geben.
[1] Eugen Drewermann "Die Stunde des Jeremia" - im Gespräch mit Michael Albus, Ostfildern 2020, S. 68