„Wo kommt mir Hoffnung her?“ – Kirche im Wandel und Aufbruch
Kardinal Marx während einer Fragestunde nach seiner Rede am Trinity College in Dublin, Irland. Thema: Kirche in einer pluralen Gesellschaft.Foto: DegreeZero (Wikipedia User), Dublin, Irland, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Gerade wird über die Medien darüber informiert, dass der Münchner Kardinal Marx dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat. Dem Erzbischof von Hamburg hat der Papst eine ‚Auszeit‘ verordnet, ins Erzbistum Köln hat der Vatikan zwei Bischöfe geschickt mit weitreichenden Vollmachten, um die Kirche vor Ort und mögliches Fehlverhalten von kirchlichen Autoritäten genauer sich anzuschauen bzw. zu untersuchen.
"Wo kommt mir Hoffnung" her - so betet der Psalmist in der Bibel. Es kann und darf die Frage nicht unbeantwortet bleiben nach der Zukunftsperspektive und Zukunftsaussicht für das Leben in und mit der Kirche. Denn wenn wir über ‚Kirche‘ reden, dann reden wir in erster Linie über uns, über unser Selbstverständnis, unsere Zukunft und Hoffnung.
Mir stehen bei all dem die Orte kirchlichen Lebens vor Augen. Was sind "Orte kirchlichen Lebens"? Welchen Sinn und welche Bedeutung haben sie, können sie haben, in einer Zeit, in einer Mit-und Umwelt, in der die institutionelle Gestalt der Kirche einen offensichtlichen Abbruch erlebt, wie er noch vor einigen Jahrzehnten undenkbar schien.
"Eine besondere Funktion im kirchlichen Leben haben Orte, an denen sich der Sendungsauftrag institutionalisiert. Kindertagesstätten, Schulen, Generationenhäuser, Jugendhäuser, Sozialstationen…sind als Orte des alltäglichen Lebens Brücken für die kirchliche Sendung…. Sie bilden… möglicherweise Stationen auf dem Weg, auf dem die einzelnen in die Gemeinschaft der Kirche hineinwachsen.[1]
So steht es in den Leitlinien für die pastoralen Räume, die die Grundlage bilden für kirchliches Leben im Erzbistum Hamburg. Auffällig ist an dem Zitat der Leitlinien für die Pastoral zunächst der Konjunktiv, indem gesagt wird, dass diese Orte "möglicherweise" hilfreich sind, in das Leben der Kirche hinein zu wachsen. Sehr realistisch sprechen die Leitlinien davon, dass "vor Ort mit unterschiedlichen Graden der Identifikation mit der Katholischen Kirche zu rechnen" ist. Die Kernaussage 10 geht in ihrem Aussagehalt noch weiter, wenn sie unmissverständlich formuliert:
"Partikulare Identifikationen innerhalb des Pastoralen Raumes sind als Chance zu begreifen."
Warum ist das so? Und Chance für wen? Chance wozu? Wir haben einerseits die Blickrichtung eingenommen, dass sich in den "Orten kirchlichen Lebens" der "Sendungsauftrag (der Kirche) institutionalisiert." Die Frage stellt sich: Ist auch eine andere, ergänzende Perspektive möglich, ja vielleicht nötig? Ich denke ja. Und es scheint mir relevanter denn je unter dem Blickwinkel der Hoffnungsperspektive für das Leben in und mit der Kirche. Diese ergänzende Perspektive liegt den Leitlinien - zumindest auch - zugrunde. Denn die Analyse ist so eindeutig wie ernüchternd, ja, sie lässt das heutige Geschehen vielleicht in einem Licht erscheinen, das weder sehr überraschend noch dramatisch negativ gedeutet werden muss. Schon im Jahr 1952 formulierte der von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal ernannte Hans Urs von Balthasar in seinem "Jahrhundertbüchlein" (Karl Lehmann) "Schleifung der Bastionen" folgenden kirchlichen ‚Befund‘:
"Die Veräußerlichung des Kirchenverhältnisses für eine überwiegende Zahl von Kirchenmitgliedern, wie es für lange Jahrhunderte feststellbar ist, kann daher nur als eine Verdunkelung des Eigentlichen und Ursprünglichen angesehen werden, ihre Überwindung als das Hinausschaffen eines Fremdkörpers."[2]
Es geht bei der Abschaffung der "Veräußerlichung des Kirchenverhältnisses" (endlich!) um die einfache, grundlegende Erkenntnis und Anerkenntnis,
- dass überall, wo Gutes geschieht, Gottes Geist am Wirken ist.
- Wenn Gott das Heil aller Menschen will - und an der Wahrheit dieses Satzes kann kein ernsthafter Zweifel bestehen,
- wenn nach gut - katholischer Lehre auch gilt, dass es kein Heil außerhalb vom Christusereignis gibt,
- wenn der Mensch im Heilsvollzug immer auch mitbeteiligt ist, weil Gott uns zur Freiheit berufen hat und uns nicht wie Marionetten behandelt,
dann hat wirklich jede sittlich gute Tat - egal, wo, wann und durch wen sie geschieht - immer auch einen Bezug zu Christus. Und wenn es einen Bezug zu Christus gibt, gibt es immer auch einen Bezug zur Kirche, denn Kirche kann sich gar nicht anders verstehen denn als Vermittlung der Hoffnung und Liebe dessen, was der Mann aus Nazareth uns durch sein gesamtes Leben hindurch als ‚produktives Vorbild‘ unserer Zukunftsperspektive hinterlassen hat.
Das heißt doch wohl auch in erster Linie, dass der Geist Gottes "weht wo er will". Und nicht, wo wir meinen, dass er weht oder gar zu wehen hat! Dass Kirche in ihrem Sendungsauftrag lernen kann und auch lernen muss von Menschen, die in SEINER Gnade Gutes tun, ohne dass sie sich zur Kirche zugehörig fühlen. Dann kann all das, was wir heute in der Kirche (und mit ihrer Gestalt) so schmerzhaft erleben, auch als das Wirken SEINES Geistes gesehen werden, der institutionelle Engen und Grenzen sprengt und überwindet.
Karl Rahner hat dies nicht nur sehr früh, sondern auch sehr klar gesehen und benannt:
"Wenn die Kirche nämlich das Sakrament des Heiles für eine Welt ist, die faktisch zum größten Teil durch die Gnade Gottes außerhalb der Institutionalitäten der Kirche (so gottgewollt und legitim diese auch sind) gerettet werden, wenn die Kirche trotz ihrer Sendung zu allen nicht meinen darf, außer ihrer sichtbaren Gestalt gäbe es kein Heil und kein langsames Heilwerden der Welt, dann ist eben das Gewinnen von neuen kirchlichen Christen nicht so sehr und in erster Linie die Rettung der sonst Verlorenen, sondern die Gewinnung von Zeugen, die als Zeichen für alle die überall in der Welt wirksame Gnade Gottes deutlich machen. Der Wille zur Kirchlichkeit der Menschen muss somit in der Kirche ein Wille sein, dass diese kirchlichen Christen allen dienen." [3]
Rudolf Hubert
Referent für Caritaspastoral
[1] Pastorale Räume: Leitlinien für die Pastoral, Hamburg 2011
[2] "Schleifung der Bastionen", Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln, 1952, S.79
[3]Karl Rahner "Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance", Freiburg, 1972, S. 66f